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Guter Wille allein reicht nicht!

RĂĽckgrat braucht es auch, wenn man Goodwill auf Werthaftigkeit prĂĽft

Wie bilanziert man gekaufte Unternehmen?

Seit langem, vermutlich seit Unternehmen andere Unternehmen kaufen, ist die Bewertung der erworbenen Firma und die nachfolgende Bilanzierung derselben, Thema für Diskussionen und Auseinandersetzungen unter Bilanzierern, Prüfern, Wissenschaftlern und nicht zuletzt Management und Aktionären. Grundsätzlich hat der Käufer zwei Möglichkeiten:

Er kann entweder die Firma als einen einzigen Vermögensgegenstand abbilden; der Kaufpreis wäre dann der initiale Bilanzansatz. Oder der Käufer schaut „hinter“ die gekaufte Firma und bilanziert sämtliche darin enthaltenen Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten separat. Die letztgenannte Alternative ist die seit vielen Jahren übliche Vorgehensweise zur Bilanzierung, wenn Unternehmen erworben werden.

Dabei ergeben sich nun wiederum diverse Umsetzungsalternativen. So können die erworbenen Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten zum Buchwert angesetzt werden. Alternativ, und diese Variante hat sich in den letzten Jahren weltweit durchgesetzt, werden die im erworbenen Unternehmen enthaltenen Vermögenswerte und Schulden bei Erlangen der Kontrolle zum aktuellen Marktwert (fair value) bilanziert. Nicht zu vergessen sind die beim Verkäufer bisher nicht bilanzierten Posten. Neben möglicherweise nicht passivierten (Eventual-)Schulden, handelt es sich dabei insbesondere um nicht aktivierte materielle und, in der Praxis von immenser Bedeutung, um immaterielle Vermögensgegenstände wie Patente, Lizenzen, Produktionsverfahren, Auftragsbestände, Baugenehmigungen, Markenrechte, Kundenbeziehungen etc.

Unabhängig, wie Vermögensgegenstände und Schulden bewertet werden, stellt sich die Frage, was mit einem über den kumulierten Wert des erworbenen Nettovermögens hinausgehenden höheren Kaufpreis zu tun sei. Dieses Residual wird als Geschäfts- und Firmenwert bezeichnet; im von Anglizismen geprägten Geschäftsalltag spricht man von Goodwill.

Die Fragen, wofĂĽr dieser Restwert gezahlt wird und wie mit ihm zu verfahren sei, bewegen die Accounting Community seit vielen Jahrzehnten.

Zu Frage 1, wofür denn nun eigentlich ein Goodwill bezahlt wird, kann man damit beginnen, dass, nachdem eine gründliche Suche und Bewertung sämtlicher vorhandenen Vermögenspositionen vorgenommen wurde, es im gekauften Unternehmen offensichtlich keine materiellen und nur noch sehr schwer zu lokalisierende immaterielle Vermögensgegenstände gibt, denen der Kaufpreisüberhang zugeordnet werden kann. Warum also war das Management des Erwerbers bereit, (so viel) mehr an Kaufpreis zu zahlen? Dies möchten natürlich insbesondere die Eigentümer des kaufenden Unternehmens, um deren Geld es sich schlussendlich ja handelt, sinnvoll beantwortet wissen.

Und das ist, jedenfalls aus Erfahrung des Autors, der Punkt, an welchem sich das Management des Erwerbers gern in blumige, um nicht zu sagen esoterische Erzählungen flüchtet. Populär ist es dabei, über Synergien zu fabulieren, die das Management, den Blick seherisch auf den Horizont gerichtet, eine Hand fest in der Hosentasche, die andere ausgestreckt auf die glorreiche Zukunft deutend, den Eigentümern in den buntesten Farben wortreich schildert. Der Autor fühlt sich bei diesen Märchenstunden regelmäßig an „des Kaisers neue Kleider“ erinnert. Und niemand traut sich, Zweifel an dem positiven Zusammenwirken von Altem und Neuem und dem daraus unzweifelhaft resultierenden gemeinsamen Nutzen anzumelden, weil jeder, der die rosige, will heißen, ertragreiche

Zukunft nicht sieht, sich als Dummkopf und Pappnase bekennen würde. Und schließlich bezahlt man doch gern für etwas so schönes wie „Guten Willen“, oder sind Sie da anderer Meinung?

Das alles wäre es vielleicht gar nicht wert darüber zu schreiben, hätten wir nicht vor einigen Jahren in IFRS, und kurz zuvor auch in US GAAP, eine Bilanzierungsmethode eingeführt, welche den Umgang mit diesem Goodwill völlig neu regelt.

Vor 2005 wurde nach IFRS, so wie heute noch im HGB, der Geschäfts- und Firmenwert über eine festgelegte Höchstdauer, meist zehn Jahre, amortisiert. Damit war jedem, und insbesondere dem an seinen erfolgsabhängigen Bonus denkenden Management des kaufenden Unternehmens klar, dass ein (zu) hoher Kaufpreis in den Folgejahren das Ergebnis durch entsprechende Abschreibungen belasten und so das Eigenkapital mindern würde. Ein Wissen mit durchaus disziplinierendem Effekt auf die handelnden Personen. Seit 2005 jedoch wird der Goodwill nach IFRS nicht mehr regelmäßig amortisiert, sondern lediglich jedes Jahr auf seine Werthaltigkeit hin überprüft (impairment-only approach).

Und nun erlauben Sie mir, die Gretchenfrage zu stellen. Liebe Leserin, geneigter Leser, was glauben Sie, ist seither mit den bilanzierten Geschäfts- und Firmenwerten in der Elite deutscher Unternehmen, dem DAX, passiert?

Ahnen Sie es? Ausgehend von € 120 Milliarden Goodwill in den Büchern der DAX-30 Unternehmen im Jahre 2005, hat sich dieser Wert bis 2020 auf rund € 314 Milliarden deutlich mehr als verdoppelt; tatsächlich ist er auf das 2,6-fache angestiegen.

Und, lassen Sie mich meine Frage erweitern, was glauben Sie, wie viel wurde in diesen 16 Jahren an Abschreibung ergebnismindernd bilanziert? Immerhin rund € 60 Milliarden. Klingt doch gar nicht schlecht? Aber halt, aufpassen! Diese Zahl ist kumuliert, d.h. über die gesamte Periode von 16 Jahren hinweg als Aufwand angefallen. Es gab Jahre, da wurde nicht ein Euro an Goodwill abgeschrieben, meist lag die jährliche Abschreibung bei drei oder vier, manchmal auch bei sechs Milliarden, die höchste Abschreibung gab es 2015 mit € 11 Milliarden. Im Krisenjahr 2020 wurden über alle DAX-30 Unternehmen hinweg € 6,8 Milliarden abgeschrieben, d.h. weniger als 2,5% der Firmenwerte. Ein klarer Fall von Management-Over-Optimism in einem Jahr, in dem wir ab März alle im Homeoffice saßen.

Gleichzeitig hat sich seit 2005 das Verhältnis von Goodwill zur Bilanzsumme von 3,4% auf über 6% ebenfalls fast verdoppelt.

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass bei der Hälfte aller DAX-30 Unternehmen der Goodwill im Geschäftsjahr 2020 mehr als die Hälfte des Eigenkapitals ausmacht. Bei Fresenius, Fresenius Medical Care und Bayer ist der „Gute Wille“ sogar größer als die Einlage der Eigentümer; bei E.ON erreicht der Goodwill mit 197% fast das Doppelte des Eigenkapitals. Würden sich bei diesen vier Unternehmen die avisierten Synergien auf einen Schlag in Luft auflösen, müsste der Goodwill komplett abgeschrieben werden. Die Konsequenz wäre ein Eigenkapital, welches so wertvoll geworden wäre, dass es auf der Aktiva gezeigt werden müsste.

Nun aber genug polemisiert, alles jammern nützt nichts, die Frage muss lauten: Was ändern wir?

Darauf kann es, aus Sicht des Autors, nur eine Antwort geben: Goodwill muss wieder kontinuierlich abgeschrieben werden! 10 Jahre klingen vernünftig, übergangsweise vielleicht auch ein Zeitraum von 20 Jahren. Keine populäre Forderung, das ist dem Autor bewusst, aber falsche Bilanzierung verlangt klare Regeln, denn „Guter Wille“ allein reicht nicht!

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