Die Kosten eines Zivilprozesses sind im Allgemeinen keine außergewöhnlichen Belastungen i.S. des § 33 EStG (Änderung der Rechtsprechung). Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn ein Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt (BFH, Urteil v. 18.6.2015 - VI R 17/14; veröffentlicht am 12.8.2015).Sachverhalt: Die Beteiligten streiten darüber, ob im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 2010 Kosten für einen Zivilrechtsstreit als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG zu berücksichtigen sind. Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
  • Mit seiner Entscheidung v. 12.5.2011 - VI R 42/10 nahm der Senat die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
  • Denn streitige Ansprüche seien wegen des staatlichen Gewaltmonopols regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren. Da die Parteien zur Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche auf den Weg vor die Gerichte verwiesen würden, entstünden Zivilprozesskosten für den Kläger wie auch für den Beklagten unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig.
  • Demgegenüber sei entgegen der bisherigen Rechtsprechung nicht auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen, weil der Steuerpflichtige im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten müsse, um sein Recht durchzusetzen.
  • Diese Entscheidung hat neben Zustimmung (z.B. FG Düsseldorf, Urteile v. 20.2.2013 - 15 K 2052/12 E; v. 19.2.2013 - 10 K 2392/12 E; v. 14.1.2013 - 11 K 1633/12 E; Kanzler in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 33 EStG Rz 110; Rosenke, EFG 2013, 1668) vielfach auch Kritik erfahren (z.B. FG Hamburg, Urteil v. 24.9.2012 - 1 K 195/11; FG Düsseldorf, Urteil v. 11.2.2014 - 13 K 3724/12 E; FG des Saarlandes, Urteil v. 10.12.2014 - 1 K 1201/13; BMF, Schreiben v. 20.12.2011, BStBl I 2011, 1286; G. Kirchhof, DStR 2013, 1867, 1871; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 33 Rz 47a ff.; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011, Rz 5).
  • Nach nochmaliger Prüfung hält der Senat an seiner bisher vertretenen Auffassung nicht mehr fest.
  • Der Senat ist sich bewusst, dass die Stetigkeit der Rechtsprechung des BFH als des obersten Gerichtshofs des Bundes für Steuern und Zölle ein wesentliches Element der Rechtssicherheit ist.
  • Er ist jedoch der Ansicht, dass hier schwerwiegende sachliche Gründe, und zwar vor allem der Gesichtspunkt einer notwendigen Vereinheitlichung der Rechtsanwendung und der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, eine Änderung der Rechtsprechung des Senats gebieten.
  • Danach sind die Kosten eines Zivilprozesses grundsätzlich nur dann als zwangsläufig anzusehen, wenn auch das die Prozessführung mit der Folge der Zahlungsverpflichtung adäquat verursachende Ereignis für den Steuerpflichtigen zwangsläufig ist.
Anmerkung: Mit dieser Entscheidung ist der VI. Senat zur alten Rechtsprechung des BFH zurückgekehrt, nach der Prozesskosten, namentlich Zivilprozesskosten, grundsätzlich nicht zwangsläufig erwachsen. Er hat damit eine Vorlage zum großen Senat vermieden, denn nach dem Beschluss des Großen Senats v. 9.10.2014 - GrS 1/13 war klar, dass der für die außergewöhnlichen Belastungen allein zuständige Lohnsteuersenat nicht mehr autonom über die ihm zugewiesenen Rechtsstreitigkeiten entscheiden und von der Rechtsprechung früher dafür zuständiger Senate abweichen konnte. Diese anderen Senate aber haben sowohl in der dem Großen Senat vorgelegten Adoptionssache, als auch in der Frage der Abziehbarkeit von Prozesskosten ein Beharrungsvermögen gezeigt, dass kaum Spielraum für eine Rechtsprechungsänderung ließ. Aus diesem Grunde hatte der VI. Senat des BFH auch auf seine beabsichtigte Änderung der Rechtsprechung zur Abziehbarkeit von Adoptionskosten verzichtet (BFH v. 10.3.2015 - VI R 60/11). Aus dem gleichen Grund hat er nun auch seine Rechtsprechung zum Abzug von Prozesskosten korrigiert und damit zu einer Lösung gefunden, die dem durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1809) geschaffenen und ab VZ 2013 geltenden gesetzlichen Abzugsverbot in § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG entspricht. Leider hat sich der BFH nicht um eine Definition des Begriffs der Existenzgefährdung bemüht, sondern die Revision mit dem kargen Hinweis zurückgewiesen, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass ihre Existenzgrundlage gefährdet gewesen sei. Hauptbezug: BFH, Urteil v. 18.6.2015 - VI R 17/14, NWB DokID: ZAAAE-98628Verwandte Artikel:
  • BFH, Urteil v. 12.5.2011 - VI R 42/10, NWB DokID: IAAAD-86750
  • FG Düsseldorf, Urteil v. 20.2.2013 - 15 K 2052/12 E, NWB DokID: CAAAE-36671
  • FG Düsseldorf, Urteil v. 19.2.2013 - 10 K 2392/12 E, NWB DokID: WAAAE-35127
  • FG Düsseldorf, Urteil v. 14.1.2013 - 11 K 1633/12 E, NWB DokID: RAAAE-33017
  • FG Düsseldorf, Urteil v. 11.2.2014 - 13 K 3724/12 E, NWB DokID: TAAAE-61476
  • FG des Saarlandes, Urteil v. 10.12.2014 - 1 K 1201/13, NWB DokID: HAAAE-86863
  • BMF, Schreiben v. 20.12.2011-  IV C 4 - S 2284/07/0031: 002 BStBl 2011 I S. 1286, NWB DokID: ZAAAD-98563
  • Geserich, Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen: Erneute Änderung der Rechtsprechung - Wie weiter nach der Rolle rückwärts? NWB 36/2015 S. 2634, NWB DokID: LAAAE-99956
  • Außergewöhnliche Belastungen - Gerichtsentscheidungen, Rechtsprechungsreport, NWB DokID: BAAAC-92988
  • Korn/Strahl Steuerliche Hinweise und Dispositionen zum Jahresende 2014 - Teil 4, NWB 49/2014 S. 3701, NWB DokID: CAAAE-80213
  • Gerauer, Prozesskosten für die Scheidung als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig?! NWB 35/2014 S. 2621, NWB DokID: WAAAE-71584
  • Hilbertz, Update: Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung, NWB 32/2013 S.2530, NWB DokID: OAAAE-41721
  • Speckamp, § 33 EStG: Anwalts- und Gerichtskosten im Ehescheidungsverfahren als außergewöhnliche Belastung, NWB 17/2013 S. 1264, NWB DokID: CAAAE-34179
  • Schmitz-Herscheidt, Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung, NWB 3/2013 S. 112, NWB DokID: TAAAE-26283
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RA, Dipl.-Finanzwirt (FH) Thomas Egle (v.i.S.d.P.)
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