Der BFH hat entschieden, dass ein verbleibender Verlustvortrag auch dann erstmals gesondert festzustellen ist, wenn ein Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr erlassen werden kann. Eine durch § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG angeordnete Bindungswirkung bestehe nicht, wenn keine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt worden ist. Praktische Bedeutung kann dies vor allem für Steuerpflichtige haben, die nachträglich Berufsausbildungskosten als vorab entstandene Werbungskosten geltend machen möchten (BFH, Urteil v. 13.1.2015 - IX R 22/14; veröffentlicht am 29.4.2015).

Hintergrund:
Bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des VZ, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, (…), zu Grunde gelegt worden sind (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG). Nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG dürfen die Besteuerungsgrundlagen (…) nur insoweit abweichend von der Einkommensteuerfestsetzung berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt. Dies gilt nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 für alle Verluste, für die nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wird.

Sachverhalt: Die Klägerin absolvierte in den Streitjahren 2005 bis 2007 eine berufliche Erstausbildung. Sie reichte 2012 Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre sowie Erklärungen zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31.12.2005, 31.12.2006 und 31.12.2007 ein. Sie machte Berufsausbildungskosten als vorab entstandene Werbungskosten geltend. Einnahmen erzielte die Klägerin nicht. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer zunächst auf 0 € fest. Die Berufsausbildungskosten berücksichtigte es als Sonderausgaben. Eine Verlustfeststellung wurde unter Hinweis auf das Fehlen ausgleichsfähiger negativer Einkünfte abgelehnt. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Mit seiner Einspruchsentscheidung hob das Finanzamt die Einkommensteuerbescheide 2005 bis 2007 auf und wies die Einsprüche im Übrigen als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht hob die Einspruchsentscheidung auf. Nicht betroffen hiervon war aber die Aufhebung der Steuerbescheide 2005 bis 2007 (FG Düsseldorf, Urteil v. 7.5.2014 - 15 K 14/14 E,F).

Hierzu führte der BFH weiter aus:
  • Mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG wird eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist.
  • Die Bindungswirkung greift nach dem Wortlaut des Gesetzes in § 10d Abs. 4 Satz 4  1. Halbsatz EStG nur ein, wenn die streitigen Besteuerungsgrundlagen "den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums (...) zu Grunde gelegt worden sind".
  • Die Bindungswirkung setzt daher voraus, dass eine Einkommensteuerveranlagung (ggf. mit einer festzusetzenden Steuer von 0 €) durchgeführt worden ist.
  • Wurde für das Verlustentstehungsjahr hingegen keine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt oder wurde die durchgeführte Veranlagung wieder aufgehoben, werden keine Besteuerungsgrundlagen einer Einkommensteuerveranlagung zu Grunde gelegt, mithin kann daher auch keine Bindungswirkung entstehen, so dass der Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids weiterhin möglich ist.
  • Im Streitfall war damit die Durchführung einer Verlustfeststellung auf die streitigen Feststellungszeitpunkte möglich. Denn eine Einkommensteuerveranlagung, die mit ihrer Bindungswirkung der Berücksichtigung der streitigen Besteuerungsgrundlagen entgegensteht, ist mit der Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2005 bis 2007 nicht mehr vorhanden.
Hinweis: In der Folge der Aufhebung der Einspruchsentscheidung befindet sich die Klägerin wieder im Einspruchsverfahren. Damit ruht nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO das Einspruchsverfahren kraft Gesetzes. Denn wegen der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG sind Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig. In diesen Verfahren ist streitig, ob der Ausschluss der Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium außerhalb eines Dienstverhältnisses vom Werbungskostenabzug mit dem GG vereinbar ist. Sollte sich in diesem Verfahren die Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG herausstellen, kann die von der Klägerin beantragte Verlustfeststellung noch durchgeführt werden. Anmerkung: Mit der o.g. Entscheidung vereinfacht der BFH die Geltendmachung von Verlustvorträgen in zurückliegenden Jahren. Praktische Bedeutung hat dies vor allem für Steuerpflichtige, die sich in Ausbildung befinden oder vor kurzem ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Auch wenn diese in der Vergangenheit keine Einkommensteuererklärung abgegeben haben und wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung eine Einkommensteuerveranlagung nicht mehr durchgeführt werden kann, kann innerhalb der Verjährungsfrist für die Verlustfeststellung diese noch beantragt und durchgeführt werden. Dadurch ist es möglich, über den Antrag auf Verlustfeststellung und einen Einspruch gegen die dazu vom Finanzamt erfolgte Ablehnung von einer für den Steuerpflichtigen günstigen Entscheidung des BVerfG über die Frage der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Kosten einer beruflichen Erstausbildung zu profitieren (vgl. Az. des BVerfG 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14 und 2 BvL 27/14).

Hauptbezug:
BFH, Urteil v. 13.1.2015 - IX R 22/14, NWB DokID: GAAAE-89049

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