Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von gemäß § 27 Abs. 19 UStG geänderten Umsatzsteuerbescheiden (BFH, Beschluss v. 17.12.2015 - XI B 84/15; veröffentlicht am 28.1.2016).
Hintergrund: § 27 Abs. 19 UStG lautet: "Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b auf eine vor dem 15. Februar 2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein. § 176 der Abgabenordnung steht der Änderung nach Satz 1 nicht entgegen. Das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt kann auf Antrag zulassen, dass der leistende Unternehmer dem Finanzamt den ihm gegen den Leistungsempfänger zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer abtritt, wenn die Annahme der Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung beruhte und der leistende Unternehmer bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs mitwirkt. Die Abtretung wirkt an Zahlungs statt, wenn
  1. der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellt,
  2. die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt,
  3. dem Leistungsempfänger diese Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis angezeigt wird, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat, und
  4. der leistende Unternehmer seiner Mitwirkungspflicht nachkommt."
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
  • Ob § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG den verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben genügt, soweit er den Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO ausschließt, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt und umstritten.
  • Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorschrift haben: FG Münster, Beschluss v. 12.8.2015 – 15 V2153/15 U, FG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 3.6.2015 - 5 V 5026/15 FG Niedersachsen, Beschlüsse v. 3.7.2015 - 16 V 95/15, v. 20.7.2015 - 16 V 132/15 sowie 16 V 135/15).
  • Keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit haben: FG Nürnberg, Beschluss v. 26.8.2015 - 2 V 1107/15, FG Düsseldorf, Beschluss v. 31.8.2015 - 1 V 1486/15 A (U), Hessisches FG, Beschluss v. 13.10.2015 - 1 V 1483/15 und das FG Sachsen, Beschluss v. 22.9.2015 - 4 V 1014/15.
  • Angesichts dieser ungeklärten - auch in der Literatur umstrittenen - Rechtslage war die beantragte AdV zu gewähren.
  • Denn ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im Hauptsacheverfahren zu entscheiden.
  • Die Entscheidung, ob das Vertrauensschutzkonzept des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG im konkreten Einzelfall den verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben genügt, den Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO zu suspendieren, wenn dem Bauleistenden kein Vermögensschaden droht, d.h. wenn er dem Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nachberechnen und dem Finanzamt den zivilrechtlichen Anspruch abtreten kann, ist mithin dem Hauptsachverfahren einer noch zu erhebenden Klage vorbehalten (so zutreffend FG Münster, Beschluss v. 12.8.2015 – 15 V2153/15 U, Rz 26).
Hinweis: Vorliegend war die zu gewährende AdV auch nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen, da eine Gefährdung der umstrittenen Umsatzsteueransprüche für die Streitjahre 2011 und 2012 weder vom FA vorgetragen wurde noch sonst ersichtlich war. Hauptbezug: BFH, Beschluss v. 17.12.2015 - XI B 84/15, NWB DokID: LAAAF-48783Verwandte Artikel:
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