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Im Namen des Volkes - Zwei Dinge sind unendlich...

Blog Ralf Sikorski - Zwei Dinge sind unendlich

SchrÀge Geschichten aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung

In seiner Kolumne „Im Namen des Volkes“ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern AuszĂŒge aus der Neubearbeitung seines gleichnamigen Buches.

Ich heiße Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht so ganz sicher“ soll Albert Einstein (theoretischer Physiker, 1879-1955) gesagt haben. Und mancher Rechtsstreit vor Gericht erinnert in aller Deutlichkeit daran. Und glĂŒcklicherweise gibt es solche Streitigkeiten im Überfluss, denn wie sollte man sonst ein ganzen Buch mit solchen Anekdoten fĂŒllen?

3 Orgasmen mit einem Kondom?

IrrefĂŒhrende Werbung – oder genauer: irrefĂŒhrende geschĂ€ftliche Handlung – ist ein lauterkeitsrechtlicher Tatbestand, der vom Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb erfasst wird. Dabei muss man doch regelmĂ€ĂŸig ĂŒber keinen großen Sachverstand verfĂŒgen, um den Inhalt einer Werbung als ausgemachten Blödsinn zu erkennen, oder?

Der Mitarbeiter eines Herstellers fĂŒr Kondome aus fairem Handel traute seinen Augen nicht. Bei Recherchen im Internet ob des Tuns eines Mitbewerbers entdeckte er, dass dieser auf der RĂŒckseite seiner Kondomverpackungen zahlreiche Hinweise angebracht hatte, so unter der Überschrift „Mehrwerte“ die Angaben: „Abtropfgewicht 14g, 1 TĂŒte ĂĄ 7 StĂŒck entspricht bis zu 21 Orgasmen.“ Das Unternehmen forderte diesen Mitbewerber sodann zur Abgabe einer strafbewehrten UnterlassungserklĂ€rung auf, der Fall landete schließlich beim Gericht. Das Landgericht DĂŒsseldorf entschied letztinstanzlich, dass ein Wettbewerbsverstoß durch irrefĂŒhrende Angaben vorliege (Urteil vom 26.11.2015, 14c O 124/15). Gerade bei Jugendlichen sei bei diesen mehrdeuten Angaben die Gefahr der IrrefĂŒhrung gegeben, auch wenn sich das Gebot der Einmalverwendung bereits aus der naheliegenden praktischen Verpackung ergĂ€be. Ob jeder Benutzer die scherzhafte gemeinte Angabe auch so versteht, ebenso wie die Angabe „kann Spuren von Feenstaub enthalten“, sei nicht gewĂ€hrleistet. Auch der Hinweis, dass auf jeden Orgasmus des TrĂ€gers des Kondoms zwei weitere des Partners oder der Partnerin kĂ€men (so die Zahl 21), erschließe sich nicht jedem Verbraucher: „Kondome sind Medizinprodukte und dĂŒrfen, wie sich aus der fĂŒr Kondome anwendbaren EN ISO 4072:2002 ergibt, nur einmal verwendet werden. Zwar mag aufgrund umfangreicher AufklĂ€rungsarbeit einem erheblichen Teil der angesprochenen Verbraucher das Gebot der Einmalverwendung bekannt sein. Gerade bei Jugendlichen ist der AufklĂ€rungsbedarf zur richtigen Anwendung von Kondomen aber anhaltend hoch und die mehrfache Verwendung eines Kondoms nach wie vor einer der hĂ€ufigsten Fehler bei der Benutzung eines Kondoms.“

Besonders bemerkenswert ist der mehrfache Hinweis des Gerichts, dass es fĂŒr die Frage des VerstĂ€ndnisses der Werbung nicht auf einen einzelnen KĂ€ufer, sondern insgesamt auf die „Verkehrsauffassung“ ankomme. Ob die zustĂ€ndigen Richter diesen Wortwitz so wollten?

Nein, diese Suppe esse ich nicht

VerstĂ€ndnis fĂŒr den Beklagten hatte dagegen das Amtsgericht Hagen (Urteil vom 9.9.1996, 14 C 149/96). Ein Gast eines ortsansĂ€ssigen Restaurants war offenbar so ausgehungert, dass er sich auf die eben servierte Suppe stĂŒrzte – und sich die Zunge verbrannte: „Der Gastwirt ist nicht verpflichtet, den Gast ausdrĂŒcklich darauf hinzuweisen, daß die servierte Suppe sehr heiß ist. Angesichts der dampfenden Suppe wĂ€re ein derartiger Hinweis ĂŒberflĂŒssig, da er die durch die dampfende Suppe bereits zum Ausdruck kommende Information nicht erweitern wĂŒrde.“

Das kann man nicht besser formulieren, oder?

Ruft. Sarah. Connor

In „Terminator“, einem der einflussreichsten Science-Fiction-Film der 1980er Jahre, schafft es die Kellnerin Sarah J. Connor de facto, den Krieg der Maschinen zu beenden und diese zu stoppen. Das scheint in unserer realen Welt nicht ganz so einfach.

Peter Jablonski konnte es kaum glauben. Da wurde tatsĂ€chlich ein Fernseher, der einen Ladenpreis von rund 2.000 EUR hatte, zum Preis von 199,99 EUR angeboten. Und das Angebot war im Internetshop eines seriösen HĂ€ndlers eingestellt worden. Möglicherweise ein Aktionspreis, wie ihn die großen Online-HĂ€ndler immer mal wieder generieren. Peter bestellte am 25.9. gleich zwei GerĂ€te, eins fĂŒr sich und seine Frau und eines fĂŒr seinen Sohn und seine Schwiegertochter. Bei einem solchen Preis kann man ja auch mal großzĂŒgig gegenĂŒber den Kindern sein.

Peter erhielt unmittelbar am 25.9. eine im Wege des Auto-Replay-Verfahrens genierte Mail, wonach seine Bestellung eingegangen und die GerĂ€te lieferbar seien. Ein Gesamtbestellwert von 419,93 EUR war angegeben, inklusive der Versandkosten. Drei Tage spĂ€ter teilte der Online-HĂ€ndler mit Mail vom 28.9. Peter mit, dass der Preis von 199,99 EUR ein Irrtum gewesen sein, der tatsĂ€chliche Preis betrage 1.999,99 EUR. Seine Bestellung sei daher storniert worden. Da die Lieferung wie gewĂŒnscht nicht erfolgte und der Online-HĂ€ndler nicht bereit war, zu diesen Preisvorstellungen zu liefern, landete der Fall beim Amtsgericht FĂŒrth in Bayern. Die Beklagte trug vor, dass der Preis versehentlich eingegeben worden war. UnverzĂŒglich nach Entdeckung des fehlerhaften Preises am Nachmittag des 25.9. habe man gleich eine Preiskorrektur im Programm vorgenommen, noch vor dem Versand der Mail an Peter. Diese Mail war aber nicht aufzuhalten gewesen, weil es sich um nicht zu verhindernde ProgrammablĂ€ufe handelt. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht und entschied (Urteil vom 11.8.2009, 360 C 2932): „Eine Maschine wie einen Computer kann man ausschalten. Die Beklagte wusste schon Stunden vor der Generierung ihrer Mail an den KĂ€ufer, dass die von ihr in Gang gesetzte, bediente und beherrschte Maschine bei Bestellungen eines Kunden vor dem Wirkungszeitpunkt entsprechender Preiskorrektur in der Nacht zum 26.9. und bei Lieferbarkeit des Produkts E-Mails mit dem bekannten Inhalt mit einem Kaufpreis von 199,99 EUR pro GerĂ€t generiert und absendet, wenn die Maschine nicht vorher gestoppt wird. Diesem Prozess musste die Beklagte nicht handlungsunfĂ€hig, quasi gefesselt, zusehen.“

Siehst du, Sarah Connor, so einfach wÀre es gewesen.

Ich freue mich, in den nÀchsten Wochen weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können.

Über Ralf Sikorski

Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Hochschule fĂŒr Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschließend Leiter der BetriebsprĂŒfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben lange Zeit als Unterrichtender in SteuerberaterlehrgĂ€ngen und BilanzbuchhalterlehrgĂ€ngen wahr. Heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tĂ€tig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. DarĂŒber hinaus hat er sich als Autor unzĂ€hliger steuerlicher Lehr- und PraktikerbĂŒcher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine StilblĂŒtensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“, „Ich war Hals ĂŒber Kopf erleichtert“ und ganz aktuell „Im Namen des Volkes“ sowie das MĂ€rchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfĂ€ltiges TĂ€tigkeitsbild ab.

Hinweis:

Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hÀngte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).

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