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Im Namen des Volkes – Was ist der Unterschied zwischen Gott und einem Juristen?

Schräge Geschichten aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung

In seiner Kolumne „Im Namen des Volkes“ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern Auszüge aus der Neubearbeitung seines gleichnamigen Buches.

Ich heiĂźe Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.

Gott denkt nicht, er sei ein Jurist.

Da die Rechtswissenschaft die Sprache zur Verkündung von Regeln benötigt und diese Regeln möglichst verständlich gefasst sein müssen, kommt es häufig zu komplizierten Formulierungen, weil verständlich geregelt nicht automatisch verständlich formuliert heißen muss. Ein bekanntes Beispiel für den gesetzlichen Sprachgebrauch ist die sog. Legaldefinition. Unter Juristen hält sich hartnäckig das Gerücht, dass durch die „Reichsschokoladenverordnung“ der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts Folgendes angeordnet wurde: „Weihnachtsmänner im Sinne dieser Regelung sind auch Osterhasen.“

Die Verordnung sollte angeblich die Verwendung von Zucker einschränken und regelte offenbar zunächst nur eine Einschränkung zur Herstellung von Weihnachtsmännern, bevor sie die genannte sinnvolle Ergänzung erfahren haben soll. So hübsch die Geschichte auch ist, sie lässt sich nicht nachweisen und dürfte nichts anderes sein als ein Gerücht – zugegebenermaßen gut ausgedacht, traut man deutschen Juristen solche Spitzfindigkeiten tatsächlich ja auch zu. Und man findet in den Unterlagen dieser Zeit auch eine Anordnung, wonach der seltene inländische Zucker nicht für die Herstellung von Schokolade verwendet werden durfte; die Beschränkung wurde aber schon 1924 wieder aufgehoben. Eine „Reichsschokoladenverordnung“ gab es aber offenbar nicht. Dies erscheint auch plausibel, da in den Kriegsjahren generell ein Verbot für die Herstellung von saisonalen Süßwarenartikeln bestand. Die Anekdote wurde sehr schön als Fiktion entlarvt von Prof. Dr. Piekenbrock, „Der Weihnachtsmann, der Osterhase und die (Rechts-)Wissenschaft“ (De Gruyter, 2015, Seite 335).

Dagegen lässt sich die folgende Absurdität historisch belegen, nachzulesen in der Chronik der Gemeinde Emmerzhausen auf www.emmerzhausen-westerwald.de, die von einem engagierten BĂĽrger der Gemeinde Emmerzhausen eingerichtet wurde und gepflegt wird; die offizielle Homepage der Gemeinde verweist gar auf diese Seite und diese Chronik. „Hunde im Sinne des Gesetzes sind auch Katzen“, dachte man sich in der Gemeinde Emmerzhausen im schönen Westerwald und fĂĽhrte 1894 nach dem preuĂźischen Vorbild zur EinfĂĽhrung einer Hundesteuer aus 1810 eine Katzensteuer ein. Steuerpflichtig war der Besitz einer Hauskatze ab dem dritten Monat nach der Geburt. „Die erste Katze ist frei, die zweite kostet eine Reichsmark und die dritte Katze wird mit drei Reichsmark besteuert.“ Die entsprechende Verordnung wurde nach wenigen Jahren wieder aufgehoben. GlĂĽcklicherweise handeln die meisten Gemeinden zurzeit verwaltungsökonomisch, zumindest soweit es eine Katzensteuer betrifft, und verzichten auf derartige Planspiele, da sowohl der Erfassungs- als auch der Erhebungsaufwand in keinem vernĂĽnftigen Verhältnis zum Ertrag stehen. Auch wenn dieses Argument bei vielen anderen Abgaben sicherlich auch angebracht wäre.

Hätte die Natur so viele Gesetze als der Staat, Gott selbst könnte sie nicht regieren.

Auch die sog. „Gurkenverordnung“ oder „Gurkenkrümmungsverordnung“ hat es wirklich gegeben, wenngleich nicht unter diesen Namen. Am 16.6.1988 veröffentlichte die europäische Kommission eine Verordnung, die Gurken anhand verschiedener Merkmale in unterschiedliche Güteklassen im Geltungsbereich der europäischen Union einteilte (Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 der Kommission vom 15.6.1988 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken, ABl. EG 1999 L 150 Seite 21). Sie legte dabei u. a. fest, dass eine Gurke der Handelsklasse „Extra“ maximal eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen durfte. In erster Linie steht sie heute noch als Synonym für eine ausufernde Bürokratie und den zügellosen Regelungswahn der europäischen Verwaltung, obwohl sie zum 1.7.2009 wieder abgeschafft wurde. Bemerkenswert daran ist, dass die Kommission die Verordnung außer Kraft setzte, obwohl eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten und sogar große Wirtschafts- und Bauernverbände sich für eine Beibehaltung aussprachen. Kaum zu glauben, aber die Verordnung ging sogar auf eine Initiative des Handels zurück. Die Verordnung führte dazu, dass in fast allen größeren Geschäften eine Gurke der anderen glich und dass die Hersteller von der „Bodenhaltung“ zu einer hängenden Aufzucht übergingen, die den geraden Wuchs der Gurken begünstigte. Und sie war ein gefundenes Fressen für Kabarettisten in allen Ländern Europas. Der Handel setzt sie heute noch als interne Norm zur Bestimmung der Güteklasse ein.

Wissentest „Behördendeutsch“

Würden Sie einen „Wissenstest Behördendeutsch“ bestehen? Dann sollten Sie den ein oder anderen der folgenden Begriffe an Fernsehsender zum Erraten in diversen Quizshows übersenden.

  • Eine „Lebensberechtigungsbescheinigung“ ist ein Personalausweis.
  • Eine „Bestallung“ ist die Ăśbernahme einer Vormundschaft, während „Beelterung“ die Adoption meint.
  • Ein „deichselgefĂĽhrtes Flurförderzeug“ ist nichts anderes als Hubwagen oder Gabelstapler.
  • Hinter einer „nicht lebenden Einfriedung“ verbirgt sich nichts Simpleres als ein Zaun.
  • Und eine „rauhfutterverzehrende GroĂźvieheinheit“ umschreibt einfach nur eine Kuh – klingt aber besser.
  • Eine „Betriebsmittelaufnahme“ ist das Betanken eines Fahrzeugs.

Dagegen mutet „Mehrstück“ als behördliche Bezeichnung für eine Kopie recht harmlos an, ebenso wie der Begriff „Versagung“ für die Ablehnung eines Antrags.

Das habe ich jetzt nicht kommen sehen

Unübertroffen nicht nur das sprachliche Talent der Juristen unserer Verwaltungen, einfache Worte so aneinanderzureihen, dass daraus völlig unverständliche Sätze entstehen. Nein, auch das Talent zur Bildung von absurden Abkürzungen ist Teil der Stellenbeschreibung eines jeden Abteilungsleiters in einem Ministerium. Die Abkürzung „BDGBMinBGAnO“ ist denn auch kein Geheimcode des Bundesnachrichtendienstes BND, sondern steht für „Anordnung zur Durchführung des Bundesdisziplinargesetzes bei dem bundesunmittelbaren Bundesinstitut für Berufsbildung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung“. Die Verordnung vom 16.4.2002 ist tatsächlich so veröffentlicht worden (Bundesgesetzblatt 2002 Teil I Seite 1460).

Ich freue mich, in den nächsten Wochen weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können.

Ăśber Ralf Sikorski

Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Hochschule für Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschließend Leiter der Betriebsprüfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben lange Zeit als Unterrichtender in Steuerberaterlehrgängen und Bilanzbuchhalterlehrgängen wahr. Heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tätig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. Darüber hinaus hat er sich als Autor unzähliger steuerlicher Lehr- und Praktikerbücher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine Stilblütensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“, „Ich war Hals über Kopf erleichtert“ und ganz aktuell „Im Namen des Volkes“ sowie das Märchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfältiges Tätigkeitsbild ab.

Hinweis:

Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hängte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).

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