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Arbeitsrecht | Tarifvertragliche Mehrarbeitszuschläge - Diskriminierung wegen Teilzeitbeschäftigung (BAG)

Eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der Mehrarbeitszuschläge unabhängig von der individuellen Arbeitszeit ab der 41. Wochenstunde zu zahlen sind, verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG).

Die Benachteiligung kann für die Vergangenheit nur dadurch beseitigt werden, dass die Grenze für die Gewährung von Mehrarbeitszuschlägen bei Teilzeitbeschäftigten im Verhältnis ihrer individuellen Wochenarbeitszeit zur Wochenarbeitszeit Vollzeitbeschäftigter abgesenkt wird. Teilzeitbeschäftigten steht unter dieser Voraussetzung ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge zu, ohne dass den Tarifvertragsparteien zuvor die Möglichkeit zur Korrektur ihrer diskriminierenden Regelung einzuräumen ist (BAG, Urteil v. 26.11.2025 - 5 AZR 118/23).

Hintergrund: Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht, § 4 Abs. 1 TzBfG.

Sachverhalt: Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den Unternehmen des bayerischen Groß- und Außenhandels vom 23.6.1997 (MTV). Dieser sieht für Vollzeitbeschäftigte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden vor. Nach § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV ist bis „einschließlich der 40. Wochenstunde kein Mehrarbeitszuschlag zu zahlen, danach sind 25 % zusätzlich zu vergüten.“ Der Kläger ist bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30,8 Stunden beschäftigt.

Der Kläger hat geltend gemacht, § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV benachteilige ihn wegen seiner Teilzeitarbeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Unter Beachtung des Pro-rata-temporis-Grundsatzes aus § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG könne er einen Mehrarbeitszuschlag beanspruchen, sobald er seine vertragliche Wochenarbeitszeit von 30,8 Stunden um 1,2 Stunden überschreite. Die Vorinstanzen haben seine Klage auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg:

  • § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV benachteiligt Teilzeitbeschäftigte i.S.v. § 4 Abs. 1 TzBfG und ist insoweit gemäß § 134 BGB nichtig, als er fĂĽr diese keine - der vertraglichen Arbeitszeit entsprechende - anteilige Absenkung der Grenze fĂĽr die Gewährung eines Mehrarbeitszuschlags vorsieht.
  • Ein sachlicher Grund fĂĽr die Benachteiligung ist nicht gegeben. Bei dessen PrĂĽfung haben die Gerichte fĂĽr Arbeitssachen aufgrund des Unionsrechtsbezugs von § 4 Abs. 1 TzBfG nicht lediglich eine WillkĂĽrkontrolle vorzunehmen, sondern die vom EuGH vorgegebenen Anforderungen zu beachten.
  • Danach lässt sich die Zuschlagsregelung nicht damit rechtfertigen, dass eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden zu einer besonderen Belastung fĂĽhrt und daher im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer vermieden werden soll. Diese Betrachtung trägt den Belastungen, mit denen die Mehrarbeit auch bei Teilzeitarbeitnehmern typischerweise verbunden ist, nicht hinreichend Rechnung.
  • Teilzeitbeschäftigten steht deshalb nach § 612 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG der tarifvertragliche Mehrarbeitszuschlag zu, wenn sie ihre individuelle wöchentliche Arbeitszeit proportional zur Zuschlagsgrenze fĂĽr Vollzeitbeschäftigte in § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV ĂĽberschreiten.
  • Das konnte der Senat entscheiden, ohne den Tarifvertragsparteien zuvor Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung zu gewähren. Im Anwendungsbereich unionsrechtlich ĂĽberformter Diskriminierungsverbote ist den Tarifvertragsparteien keine primäre Korrekturmöglichkeit einzuräumen.
  • Da das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zu der vom Kläger geleisteten Mehrarbeit getroffen hat, hat der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurĂĽckverwiesen.

Quelle: BAG, Pressemitteilung v. 26.11.2026 (il)

Fundstelle(n):

NWB VAAAK-05271

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