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Im Namen des Volkes – Reisen veredelt den Geist

Reisen veredelt den Geist

SchrÀge Geschichten aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung

In seiner Kolumne „Im Namen des Volkes“ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern AuszĂŒge aus der Neuauflage seines gleichnamigen Buches

Ich heiße Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.

Der Weise versteht die Welt, ohne zu Reisen
WĂ€hrend uns irische Lyriker Oscar Wilde (1854–1900) auffordert, die Welt zu bereisen, um sie besser zu verstehen, rĂ€t uns Laotse, der nur legendenhaft fassbare chinesische Philosoph, der im 4. oder 3. Jahrhundert vor Christus gelebt haben soll, lieber zu Hause zu bleiben. Wenn man die Urteile deutscher Gerichte – vornehmlich der Amtsgerichte – im Nachgang zu Reisen deutscher Pauschaltouristen so liest, scheint es noch eine weitere Variante zu geben: „Reise, um zu klagen.“
Neben Klagen im Bereich des Steuerrechts sowie des Sozialrechts und im Bereich des Nachbarschaftsrechts erfreuen sich gerichtliche Auseinandersetzungen mit Reiseveranstaltern in Deutschland großer Beliebtheit. Und was so alles nach einer Pauschalreise kritisiert wird, treibt einem nicht selten die Schamesröte ins Gesicht. So musste das Amtsgericht Aschaffenburg (Urteil vom 19.12.1996, 13 C 3517/95) ernsthaft entscheiden: „Es stellt keinen Mangel der Reise dar, wenn die Reiseteilnehmer den Hotelstrand mit Einheimischen teilen mĂŒssen.“
Kaum zu glauben. Mann reist in ein fernes Land und dann leben da tatsĂ€chlich Menschen. Und dann lachen und reden die Einheimischen möglicherweise auch noch miteinander! Und auch noch in einer fremden Sprache! Und deren Gören toben rum, als wĂ€re es ihr eigener Strand. Da hĂ€tte man ja gleich zu Hause in Castrop-Rauxel bleiben können (Anmerkung des Autors: Die Nennung der Stadt Castrop-Rauxel stellt hier ein Synonym fĂŒr Ihre Heimatstadt dar und keine Diskriminierung der Gemeinde im Ruhrgebiet. Bitte ersetzen Sie beim Lesen die Stadt Castrop-Rauxel durch Ihren eigenen Wohnort).

Und leider ist nach deutscher Rechtsprechung auch das Wetter am Urlaubsort nicht einklagbar, wie das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt entschied (Urteil vom 10.5.1996, 10 C 801/96): „Der Reiseveranstalter hat nicht dafĂŒr einzustehen, wenn der Reisende am Urlaubort (hier: Ägypten) WitterungsverhĂ€ltnisse antrifft, die von den im Reisekatalog angegebenen Durchschnittswerten abweichen.“
Dagegen kann der durch WaldbrĂ€nde auf Borneo verursachte Smog wĂ€hrend der gebuchten Urlaubszeit ein Grund sein, den Reisepreis zu mindern, aber nur, weil der Reiseveranstalter vor der Reise nicht auf die geĂ€nderten Bedingungen hingewiesen hat (AG Hamburg, Urteil vom 2.5.2000, 22b C 112/98): „Die im September 1997 im malaysischen Teil von Borneo aufgetretene, durch WaldbrĂ€nde in Indonesien versursachte Luftverschmutzung stellt einen Fall höherer Gewalt dar. Der Reiseveranstalter muss den Reisenden vor Reiseantritt ĂŒber die WaldbrĂ€nde und deren katastrophale Folgen informieren. UnterlĂ€sst er dies, so kann der Reisende kĂŒndigen und Schadenersatz verlangen.“
Auch ein LawinenunglĂŒck wird man gemeinhin als höhere Gewalt einstufen, fĂŒr das man wohl kaum den Reiseveranstalter verantwortlich machen kann. Weit gefehlt. So entschied das Oberlandesgericht MĂŒnchen, dass insoweit ein Reisemangel vorliegen kann (Urteil vom 24.1.2002, 8 U 2053/01): „Wenn ein Skitouren-Urlaub im Reisekatalog mit ‚sicheren, sanften Anstiegen und Genußabfahrten’ beschrieben wird, liegt ein Reisemangel vor, wenn es auf der Reise zu einem Lawinenunfall kommt.“

Per aspera ad astra
Kevin und Jaqueline Cervinski aus Hamburg-Harburg (hĂ€tte auch Castrop-Rauxel seien können, sie oben) konnten ihr GlĂŒck kaum fassen. Das Last-Minute-Angebot ihres ReisebĂŒros war wirklich der Knaller. Ein Schnapper, wie Jaqueline stets zu sagen pflegte. Ein pickfeines Hotel zum Preis einer Jugendherberge sozusagen, und das alles nur, weil der Massentourismus in Antalya zum Erliegen gekommen ist.
Schon bei der Ankunft stockte beiden der Atem. Das Hotel hatte eine Empfangshalle, in die bequem ihr Hotel aus ihrem letzten Urlaub in Benidorm komplett hineingepasst hĂ€tte. Und das Ambiente, einfach nur top. Die Koffer wurden vom Concierge aufs Zimmer gebracht, ein BegrĂŒĂŸungskorb mit FrĂŒchten und einer Flasche Sekt stand bereit. Kevin beschloss, sich zum Abendessen umzuziehen. In einem so feinen Hotel zieht man dann auch mal richtige Beinkleider und SchnĂŒrschuhe an und verzichtet auf Shorts und Sandalen. Und ein ordentliches Hemd. Ärgerlich, dass er das Sakko, das er vor fĂŒnf Jahren auf der Silberhochzeit getragen hatte, nicht eingepackt hat. Und Jaqueline sah wieder zum Anbeißen aus – wie Tina Ruland in „Manta, Manta.“

Zu Beginn des Abendessens war alles noch zauberhaft. Der Ober geleitete sie an den Tisch, rĂŒckte Jaqueline den Stuhl zurecht, wie es sich gehörte. Aber im Laufe des Abends verging ihnen dann nach und nach die gute Laune. An den beiden Nachbartischen wurde lautstark geredet, ĂŒber anzĂŒgliche Witze gelacht – und einer der mĂ€nnlichen Touristen hat gerade glatt der Kellnerin an den Hintern gefasst. Von den durch den Speisesaal rennenden Gören der anderen GĂ€ste ganz zu schweigen.
Leider war das nur der Anfang. Ruhe am Pool – Fehlanzeige. GemĂŒtlicher Absacker in der Bar – Fehlanzeige. Das vermeintliche SchnĂ€ppchen entpuppte sich als Albtraum, weil die beiden offenbar nicht die einzigen GĂ€ste waren, die aufgrund des unglaublichen Preisangebots eine Buchung vorgenommen hatten, die sie sich im normalen Leben gar nicht leisten könnten. Aber dass das ĂŒbrige Publikum ein solch niedriges Niveau hatte, unfassbar. Kevin schrieb dem Reiseveranstalter nach der RĂŒckkehr einen eindrucksvollen Brief, er hatte tagebuchmĂ€ĂŸig alle grenzwertigen Vorkommnisse zur Beweissicherung in seiner ‚Notizen-APP‘ seines Handys festgehalten. Die Eheleute Cervinski beauftragen schließlich einen Anwalt mit der Wahrnehmung ihrer Rechte. WofĂŒr ist man schließlich rechtsschutzversichert?

So Ă€hnlich muss man sich den Sachverhalt vorstellen, der einer Klage am Amtsgericht Hamburg zugrunde lag. SĂŒffisant die entsprechende UrteilsbegrĂŒndung des Richters, der einen KlĂ€ger zurĂŒckwies, der sich am Verhalten anderer GĂ€ste im Hotel störte, die sich nach Ansicht des KlĂ€gers niveaulos verhalten haben sollen (Urteil vom 7.3.1995, 9 C 2334/94): „Im Zeitalter des Massentourismus ist es allen Bevölkerungsschichten möglich, Fernreisen zu unternehmen. Ein spezielles Publikum fĂŒr Luxushotels gibt es heutzutage nicht mehr. WĂ€hrend des Aufenthalts in einem Luxushotel wĂ€hrend einer Pauschalreise ist daher ein Zusammentreffen mit GĂ€sten aus Bevölkerungsschichten mit einfach strukturiertem Niveau durchaus möglich. Wegen dadurch auftretender optischer oder atmosphĂ€rischer Störungen steht dem Reisenden kein Minderungsanspruch zu. Die Hotelbeschreibung im Hauptkatalog des Reiseveranstalters beinhaltet keine Eigenschaftszusicherungen, wenn die Reise nach einem Sonderangebot zu einem deutlich verringerten Preis gebucht worden ist.“

Einzelbetten statt Doppelbetten als Reisemangel oder „Das glaub‘ ich jetzt aber wirklich nicht“
Mein absolutes Lieblingsurteil, das je von einem Juristen geschrieben wurde, ist ein Urteil des Amtsgericht Mönchengladbach aus dem Jahr 1991 (Urteil vom 25.4.1991, 5a C 106/91). Mit juristischer Finesse, EinfĂŒhlungsvermögen fĂŒr einen Querulanten als KlĂ€ger und mit ganz feinem Humor hat der zustĂ€ndige Richter eine Klage auf Schadenersatz wegen eines angeblichen Reisemangels abgewiesen, die erhoben wurde, weil im Hotelzimmer statt des erwarteten Doppelbetts zwei Einzelbetten aufgestellt waren:
„Der KlĂ€ger hatte bei der Beklagten (Reisegesellschaft) fĂŒr sich und seine LebensgefĂ€hrtin eine Urlaubsreise nach Menorca im Hotel LC gebucht. Geschuldet war die Unterbringung in einem Doppelzimmer mit Doppelbett. Der KlĂ€ger trĂ€gt vor, nach der Ankunft habe er feststellen mĂŒssen, daß es in dem ihm zugewiesenen Zimmer kein Doppelbett gegeben habe, sondern zwei separate Einzelbetten, die nicht miteinander verbunden gewesen waren. Bereits in der ersten Nacht habe er feststellen mĂŒssen, daß er hierdurch in seinen Schlaf- und Beischlafgewohnheiten empfindlich beeintrĂ€chtigt worden sei. Ein friedliches und harmonisches Einschlaf- und Beischlaferlebnis sei wĂ€hrend der gesamten 14-tĂ€gigen Urlaubszeit nicht zustande gekommen, weil die Einzelbetten, die zudem noch auf rutschigen Fliesen gestanden hĂ€tten, bei jeder kleinsten Bewegung mittig auseinandergegangen seien. Ein harmonischer Intimverkehr sei deshalb nahezu völlig verhindert worden.“

Der KlĂ€ger verlangte Schadenersatz wegen „nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit“ in Höhe von 20 % des Reisepreises. Der erhoffte Erholungswert, die Entspannung und die ersehnte Harmonie mit seiner LebensgefĂ€hrtin seien erheblich beeintrĂ€chtigt gewesen. Dies habe bei ihm und seiner LebensgefĂ€hrtin zu erheblicher Verdrossenheit, Unzufriedenheit und auch Ärger gefĂŒhrt. So habe man sich die gebuchte Zweisamkeit nicht vorgestellt. Der Erholungswert, den man im Allgemeinen ja von einem Urlaub erwartet, habe darunter erheblich gelitten, was den geforderten Schadenersatz rechtfertige.
Interessanterweise bat die beklagte Reisegesellschaft um Abweisung der Klage mit der wenig juristischen BegrĂŒndung, die Klage könne nicht wirklich ernst gemeint sein. Das Gericht nahm die Klage aber an und begrĂŒndete die ZulĂ€ssigkeit der Klage wie folgt: „Die Klage ist zulĂ€ssig. Der Beklagten ist zuzugeben, daß hier leicht der Eindruck entstehen könnte, die Klage sei nicht ernst gemeint. Die Zivilprozessordnung sieht allerdings einen derartigen Fall nicht vor, so daß es hierfĂŒr auch keine gesetzlich vorgeschriebenen Konsequenzen gibt.“
Alles, was vor Gericht vorgetragen wird, ist also ernst gemeint, weil der Gesetzgeber einen anderen Fall gar nicht vorgesehen hat. Aber ich glaube, der Richter wollte diesen Fall auch entscheiden und der Nachwelt ein entsprechendes Urteil hinterlassen. Denn er entschied dann in der Hauptsache wie folgt: „Die Klage ist in der Sache nicht begrĂŒndet. Der KlĂ€ger hat nicht nĂ€her dargelegt, welche besonderen Beischlafgewohnheiten er hat, die festverbundene Doppelbetten voraussetzen. Dieser Punkt brauchte allerdings nicht aufgeklĂ€rt zu werden, denn es kommt hier nicht auf spezielle Gewohnheiten des KlĂ€gers an, sondern darauf, ob die Betten fĂŒr einen durchschnittlichen Reisenden ungeeignet seien. Dies ist hier nicht der Fall.“

Und jetzt kommt’s, festhalten:„Dem Gericht sind mehrere allgemein bekannte und ĂŒbliche Variationen der AusfĂŒhrung des Beischlafs bekannt, die auf einem einzelnen Bett ausgeĂŒbt werden können, und zwar durchaus zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Es ist also ganz und gar nicht so, daß der KlĂ€ger seinen Urlaub ganz ohne das von ihm besonders angestrebte Intimleben hatte verbringen mĂŒssen.
Aber selbst, wenn man dem KlÀger seine bestimmten Beischlafpraktiken zugesteht, die ein festverbundenes Doppelbett voraussetzen, liegt kein Reisemangel vor, denn er Mangel wÀre mit wenigen Handgriffen selbst zu beseitigen gewesen.
Es hĂ€tte nur weniger Handgriffe bedurft und wĂ€re in wenigen Minuten zu erledigen gewesen, die beiden Metallrahmen der Betten durch eine feste Schnur miteinander zu verbinden. Eine Schnur wĂ€re fĂŒr wenig Geld schnell zu besorgen.“

Und jetzt: Trommelwirbel, großes Finale: „Bis zur Beschaffung dieser Schnur hĂ€tte sich der KlĂ€ger beispielsweise seines HosengĂŒrtels bedienen können, denn dieser wurde in seiner ursprĂŒnglichen Funktion in diesem Augenblick sicher nicht benötigt.“


Ich freue mich, in den nÀchsten Wochen weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können.

Über Ralf Sikorski
Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule fĂŒr Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschließend Leiter der BetriebsprĂŒfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben als Unterrichtender in SteuerberaterlehrgĂ€ngen und BilanzbuchhalterlehrgĂ€ngen wahr, heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tĂ€tig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. DarĂŒber hinaus hat er sich als Autor unzĂ€hliger steuerlicher Lehr- und PraktikerbĂŒcher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine StilblĂŒtensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“, „Ich war Hals ĂŒber Kopf erleichtert“ und ganz aktuell „Im Namen des Volkes“ sowie das MĂ€rchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfĂ€ltiges TĂ€tigkeitsbild ab.

Hinweis:
Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hÀngte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).

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