In seiner Kolumne âIm Namen des Volkesâ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern AuszĂŒge aus der Neubearbeitung seines gleichnamigen Buches.
Ich heiĂe Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.
âEs kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben,
wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefĂ€llt.â Wir wissen natĂŒrlich nicht, welche Nachbarn Friedrich Schiller (deutscher Schriftsteller, 1759-1805) veranlasst haben, diese Zeilen seinem Wilhelm Tell in der hohlen Gasse bei KĂŒĂnacht in den Mund zu legen und ob er ĂŒberhaupt eigenen nachbarschaftlichen Ărger hatte. Aber die Bemerkung selbst hat bis heute nichts an AktualitĂ€t verloren, heute scheint der Gang vors Gericht bei Nachbarn bzw. Mietern und Vermietern offenbar ein weit verbreiteter FreizeitspaĂ zu sein. Am Tegernsee beschwert sich eine Nachbarin ĂŒber die GeruchsbelĂ€stigung aus der BĂ€ckerei nebenan, im Landkreis Miesbach ist fĂŒr einen Anwohner das LĂ€uten der Kuhglocken auf der Wiese neben seinem Haus ein Albtraum und im oberfrĂ€nkischen Pegnitz nerven einen Nachbarn die GlockenschlĂ€ge der Kirchturmuhr. Kein Wunder, dass es in vielen LĂ€ndern Lebensweisheiten gibt, die darauf hindeuten, dass ein guter Nachbar ein StĂŒck LebensqualitĂ€t ist. âWer ein Haus kauft, kauft die Nachbarn gleich mitâ, ist eine Weisheit aus England. âGute Nachbarn sind ein echter Schatzâ wissen die Ungarn. Wenn sich keine Mediatoren, Friedensrichter, Schiedsleute oder gute Freunde finden, die gĂŒtlich auf die StreithĂ€hne einwirken können, beschreiten die Hardliner in der Nachbarschaft auch schon mal den gerichtlichen Weg, die zustĂ€ndigen Richter an den Amtsgerichten können im ganzen Land ein Lied davon singen. Und hĂ€ufig gibt es fĂŒr die Streitigkeiten einen eher nichtigen Anlass oder sind einfach nur zum FremdschĂ€men.
Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien
Ganz prekĂ€r wird die Lage, wenn WohnungseigentĂŒmergemeinschaften aus Nachbarn bestehen, die unterschiedliche Anschauungen beim Thema FuĂball haben. So konnte Norbert MĂŒller es kaum glauben. Da hat doch Aloys Niederlechner, dieser saublöde Bewohner der Erdgeschoss-Wohnung, in seinem Garten einen 28 Zentimeter groĂen Fan-Gartenzwerg vom FuĂballverein TSV 1860 MĂŒnchen aufgestellt. Und er, der eingefleischte Fan des FC Bayern MĂŒnchen, muss jeden Morgen beim Betreten seines eigenen Balkons direkt in das Antlitz dieser provokanten Statue blicken. Nein, nicht mit ihm, sagte er sich. Anruf bei einem Rechtsanwalt der gleichen fuĂballerischen Gesinnung und fertig ist die Abmahnung an den Frevler. Doch der ging vor Gericht und lieĂ sich die RechtmĂ€Ăigkeit seines Tuns bestĂ€tigen. Das Amtsgericht MĂŒnchen entschied, dass der FuĂballfan keine Zustimmung seiner Nachbarn braucht (Urteil vom 28.2.2018, 481 C 793/17): âDas Aufstellen eines Gartenzwergs im Bereich der Sonder-NutzungsflĂ€che stellt keine bauliche VerĂ€nderung dar.â Weniger VerstĂ€ndnis hatte dasselbe Gericht dagegen fĂŒr das Aufstellen des 4 m hohen Fahnenmastes, der eine Flagge des gleichen Vereins aufnehmen sollte. Eine derartige Anschaffung falle wohl eher nicht in die âfreie Gestaltungsmöglichkeitâ, die im Rahmen der TeilungserklĂ€rung eingerĂ€umt wurde.
Einen von der gegenseitigen Zuneigung geprĂ€gten mehr als nur vergleichbaren Fall hatte das Verwaltungsgericht Arnsberg zu entscheiden (Urteil vom 15.7.2013, 8 K 1679/12). Und die Richter waren um ihre Aufgabe wirklich nicht zu beneiden, ihre Arbeit wurde aber spĂ€ter vom Oberverwaltungsgericht NRW bestĂ€tigt (Beschluss vom 8.7.2014, 10 A 1787/13). âEine Fahnenstange ist selbst im reinen Wohngebiet auch mit aufgezogener BVB-Fahne eine zulĂ€ssige Nutzung. Sie verstöĂt auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der RĂŒcksichtnahme. Sofern die KlĂ€ger darauf verweisen, die Fahne tauche immer wieder in ihrem Blickwinkel auf, wenn sie im Wohnzimmer in ihren Sitzmöbeln sĂ€Ăen und dadurch sei insbesondere auch ein ungestörtes Fernsehen nicht möglich, stellt das Flattern der Fahne in Richtung des GrundstĂŒcks der KlĂ€ger eine zumutbare und hinnehmbare BeeintrĂ€chtigung dar.â
Abenteuerlich klingt die BegrĂŒndung des KlĂ€gers dazu, der die 1â xâ 2âŻm groĂe Fahne an einem 5âŻm hohen Mast als Werbebanner sah und damit eine unzulĂ€ssige gewerbliche Verwendung des GrundstĂŒcks in einem Wohngebiet vorschob. SchlieĂlich handele es sich bei dem FuĂballverein Borussia Dortmund um ein börsennotiertes Unternehmen. Er hat das Bauamt dahingehend informiert, die allerdings nach einer Ortsbesichtigung zu dem Ergebnis kamen, dass die Fahne zulĂ€ssig sei und stellten fĂŒr ihre BemĂŒhungen dem KlĂ€ger 50âŻEUR GebĂŒhren in Rechnung. Dagegen wendete sich der KlĂ€ger, der interessanterweise nicht im Jahr 2010, als der Fahnenmast aufgestellt wurde, AnstoĂ daran nahm, sondern erst wesentlich spĂ€ter. Die Nachbarn hatten erklĂ€rt, dass sie den Fahnenmast zur Landesgartenschau angeschafft hatten, in wechselnder Folge hĂ€tten sich daran eine Fahne der damaligen Landesgartenschau, eine Deutschlandfahne oder eine NRW-Fahne befunden. Erst als in 2012 die BVB-Fahne gehisst wurde, seien die KlĂ€ger aktiv geworden. Ob sie wohl Schalke-Fans sind? FĂŒr das Geld, das dieser Rechtsstreit verschlungen hat, hĂ€tten die StreithĂ€hne sicherlich sehr viele gemeinsame Grillabende ausrichten können, um sich besser kennenzulernen.
Sinnhaftigkeit einer Schweinehaltung in einer Mietwohnung
Manche Rechtsfragen, ĂŒber die deutsche Gerichte so urteilen mĂŒssen, sind schlicht atemberaubend. So entschied das Amtsgericht Berlin-Köpenick (Urteil vom 13.7.2000, 17 C 88/00): âDer Mieter ist berechtigt, ein Schwein in der Mietwohnung zu halten, wenn es seit zwei Monaten im Treppenhaus nicht mehr nach Schwein stinkt.â
Olga B. konnte es kaum glauben. Ihr wurde vom Vermieter gekĂŒndigt, weil sich die Nachbarn ĂŒber die GeruchsbelĂ€stigung im Treppenhaus beschwert haben. Aber das Gericht stand ihr zur Seite. Das Amtsgericht entschied dabei nicht nur, dass das Schwein bleiben darf, sondern auch, dass die Sinnhaftigkeit einer Schweinehaltung in einer Mietwohnung nicht Gegenstand eines Gerichtsverfahrens ist. Sofern vom Schwein keine GeruchsbelĂ€stigung ausgehe, liegt keine vertragswidrige Nutzung durch die Mieterin vor. Anders verhĂ€lt es sich dagegen, wenn von dem Schwein eine konkrete Gefahr ausgeht, z.â B. durch Angriffe auf Mitbewohner im Hausflur (so das Amtsgericht MĂŒnchen mit Urteil vom 6.7.2004, 413 C 12648/04).
Ganz anders sah es dagegen das Amtsgericht Berlin-Spandau (Urteil vom 11.11.2014, 12 C 133/14), das entschied, dass Igel nicht in eine Wohnung gehören. Sie sindâŻâ offenbar im Gegensatz zu SchweinenâŻâ keine Haustiere: âDie monatelange Unterbringung von mehreren Igeln in WohnrĂ€umen und auf dem Balkon stellt eine mietvertragliche Pflichtverletzung dar, die eine fristlose KĂŒndigung nach Abmahnung rechtfertigt. Da es sich bei einem Igel um ein Wildtier handelt, greift eine vertraglich vereinbarte Kleintierhaltungsklausel nicht.â Da sich die Mieterin trotz der Beschwerden der ĂŒbrigen Mieter und einer Abmahnung nicht einsichtig zeigte, mĂŒssen nicht nur die Igel, sondern auch die Mieterin nun woanders eine Unterkunft suchen.
Ich freue mich, in den nÀchsten Wochen weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können.
Ăber Ralf Sikorski
Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Hochschule fĂŒr Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschlieĂend Leiter der BetriebsprĂŒfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben lange Zeit als Unterrichtender in SteuerberaterlehrgĂ€ngen und BilanzbuchhalterlehrgĂ€ngen wahr. Heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tĂ€tig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. DarĂŒber hinaus hat er sich als Autor unzĂ€hliger steuerlicher Lehr- und PraktikerbĂŒcher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine StilblĂŒtensammlungen âMeine Frau ist eine auĂergewöhnliche Belastungâ, âWo bitte kann ich meinen Mann absetzenâ, âIch war Hals ĂŒber Kopf erleichtertâ und ganz aktuell âIm Namen des Volkesâ sowie das MĂ€rchenbuch âVon Steuereyntreibern und anderen Blutsaugernâ runden sein vielfĂ€ltiges TĂ€tigkeitsbild ab.
Hinweis:
Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hÀngte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).